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Vom Ursprung des Urknalls

Eine humoristische Spurensuche nach den Anfängen des Universums

 

Es war ein in jeglicher Hinsicht völlig normaler Freitag im Leben von Herrn und Frau Gott. Eben hatten die beiden ihr Mittagessen beendet, Herr Gott lümmelte für ein Verdauungs-Nickerchen auf dem Sofa und Frau Gott saß zufrieden im Schaukelstuhl und genoss die Ruhe im Gotteshaus. Während Frau Gott so vor sich hin schaukelte, entfuhr ihrem Mund plötzlich ein glucksendes »Bbbrraabb!« – ein rumpelnder Rülpser in Reinkultur! »Hoppla«, dachte Frau Gott bei sich, »da habe ich wohl meine Götterspeise etwas zu hastig verspeist.« Leicht beschämt blickte sie in die Richtung ihres Mannes, der im Halbschlaf murmelte: »Fraugott nochmal, wo sind nur Deine Manieren geblieben?«

Gedankenverloren blickte Frau Gott der Rülpswolke nach, die soeben ihrem Mund entwichen war und sich nun im Wohnzimmer der Gotts ausbreitete. Und weil sie gerade nichts Besseres zu tun hatte – sie war erst in einer Stunde zum Canasta-Spielen verabredet –, beschloss sie, sich das muntere Treiben in diesem göttlichen Abgas etwas genauer anzusehen. (Von ihrem Vater hatte sie einen Gottesblick geerbt, der das Beobachten selbst kleinster Strukturen zum Kinderspiel machte.) Auf den ersten Blick wirkte die Wolke ziemlich homogen. Doch bei genauerem Hinsehen fiel Frau Gott auf, wie hin und wieder bizarre Formen quasi aus dem Nichts auftauchten – kleine zufällige Inseln der Stabilität, die sich für den Bruchteil einer göttlichen Sekunde am Leben hielten und dann wieder im stetigen Wolkengrau versanken.

Eine dieser schnelllebigen Turbulenzen fand Frau Gott besonders nett. Dort hatte sich inmitten des gasförmigen Chaos ein Zufallsmuster mit eleganten Symmetrien herausgebildet: süße kleine Wellen-Pakete, die sich so geschickt übereinander gestapelt hatten, dass es wirkte, als entstünden dabei stabile Kügelchen. »Da herrscht ja eine unwahrscheinliche Ordnung«, freute sich Frau Gott, »wenn es doch nur in unserem Haus immer so ordentlich wäre!« Natürlich war sich Frau Gott des Umstands bewusst, dass diese ulkige Turbulenz-Insel ein vergleichsweise leichtes Spiel hatte – schließlich würde die Inselordnung nur extrem kurz bestehen bleiben, während Frau Gott ihren Mann stets aufs Neue ermuntern musste, seine benutzten Socken nicht immer achtlos rumliegen zu lassen, sondern in den dafür vorgesehenen Wäschesack zu räumen. »Dennoch Respekt, da hat der Zufall wirklich ein kleines Kunstwerk erschaffen! Das will ich mir genauer ansehen«, dachte Frau Gott und nahm ihre Zeitlupe – ein wertvolles Erbstück der Familie Gott – vom Beistelltisch. Und siehe da: Als sie die Lupe auf die betreffende Stelle in der Rülpswolke richtete, konnte sie das kurzlebige Fortleben der wohlsortierten Turbulenz-Insel in aller Seelenruhe mitverfolgen!

Mittlerweile hatten sich schon verschiedene Sorten von Wellen-Kügelchen herausgebildet. Die meisten dieser Elementarteilchen fristeten ein ziemlich unbeteiligtes Schattendasein, aber es gab auch einige wenige Teilchen, die sich auf kuriose Weise aufeinander zu beziehen schienen und andauernd neu miteinander verbanden. Die allermeisten der so entstandenen Verbindungen zerfielen nach kürzester Zeit wieder in ihre Einzelteile. Je nach Laune des Zufalls konnten daraus jedoch auch weitere, zunehmend komplexere Verbindungen entstehen. Und weil der Zufall offenbar gerade gute Laune hatte, entwickelte sich in einem Minibereich dieser winzig kleinen Turbulenz-Insel inmitten der Rülpswolke ein regelrechtes Kabinett aus 118 klar voneinander unterscheidbaren Elementen, die für eine Rülpswolken-Turbulenz tatsächlich erstaunlich stabil waren! Frau Gott war sichtlich amüsiert: »Wenn ich nicht wüsste, dass ich mir diese Entwicklung in Zeitlupe ansehe, wäre ich tatsächlich geneigt zu glauben, dass diese Elemente etwas Beständiges haben. Faszinierend, welch elegante Phänomene der Zufall manchmal ganz unvermittelt erzeugt!«

Doch damit war der Fortschritt auf der Turbulenz-Insel noch lange nicht am Ende angelangt. Denn auch die Elemente begannen nun, sich ihrerseits auf mannigfaltige Weise mehr oder weniger erfolgreich miteinander zu verbinden. In einer Engelsgeduld setzte der liebe Zufall stets aufs Neue verschiedene Elemente zusammen – bis sich irgendwann tatsächlich größere Materieklumpen aus den Elementarteilchen geformt hatten. Und nicht nur das: Bald waren diese Klumpen von unterschiedlichsten Mikroorganismen bevölkert, die sich von anderen elementaren Verbindungen ernähren konnten. »Das ist ja ein putziger Streichelzoo an Organismen!«, freute sich Frau Gott. Während sie noch vergnüglich all die Zufalls-Geschöpfe inspizierte, schritt die Entwicklung auf der Turbulenz-Insel scheinbar unaufhaltsam voran – und ehe es sich Frau Gott versah, waren die Klumpen zu unvorstellbar großen, heißen Zentralgestirnen herangewachsen, die von zahlreichen Planeten umkreist wurden, auf denen sich wiederum hochkomplexe und bisweilen ziemlich verrückte Lebewesen tummelten. Auf einem besonders schönen, blauen Planeten waren sogar Wesen entstanden, die über die erstaunliche Fähigkeit verfügten, über sich selbst und die Welt um sie herum nachdenken zu können. Weil ihnen das Nachdenken offenbar große Befriedigung verschaffte, dachten sie sich für alles, was sie wahrnehmen konnten, lustige Namen wie ›Schienbein‹, ›Kamel‹ oder ›Liebeskummer‹ aus. Für sich selbst hatten sie sich ebenfalls einen originellen Namen ausgedacht: ›Mensch‹. Auch ein eigenes Zeitempfinden hatten die Menschen entwickelt – dessen Tempo entsprach lustigerweise ziemlich genau der Skala von Frau Gotts Zeitlupe, so dass die Menschen sich selbst und ihre Umwelt irrtümlicherweise als ziemlich langlebig wahrnahmen…

Diese Menschen waren wirklich sonderbar. Dank eines raffinierten Reproduktionsmechanismus entstand aus zwei Menschen immer wieder ein neuer Mensch: Plopp, kam jemand Neues auf die Welt, blieb für ein kurzes Menschenleben und verschwand dann wieder von der Bildfläche. So hielt sich die Spezies Mensch mit viel Glück erstaunlich lange in diesem ganzen Zufalls-Gewirr. Doch aufgrund ihrer recht begrenzten Weltsicht konnten sie mit diesem Glück wenig anfangen. Vielmehr verlegten sie sich auf die fixe Idee, dass ihre Existenz nicht das flüchtige Ergebnis eines gnädigen Zufalls sei, sondern dass sie selbst für ihre Existenz verantwortlich seien und durch ausgiebiges Nachdenken dafür sorgen könnten, die ewigen Herrscher ihrer Welt zu werden – einer unveränderlichen Welt, deren einziger Sinn darin bestünde, den Menschen würdige Lebensbedingungen zu bieten. Um sich von der Richtigkeit ihrer falschen Annahme zu überzeugen, ersannen sie die abstrusesten Theorien über ihre eigene Großartigkeit und führten anschließend erbitterte Kriege, um sich selbst und dem Rest der Menschheit zu beweisen, dass ihre jeweilige Sicht auf die Welt die einzig richtige sei – und dass am Ende dieser Weltsicht das ewige Leben stehe. »Wirklich ein obskurer Zirkus, den die Menschen da veranstalten«, murmelte Frau Gott erstaunt. Doch sie konnte ihnen nicht wirklich einen Vorwurf machen, schließlich hatten sie ja keine Ahnung, dass ihre Geschichte in einem göttlichen Wimpernschlag vorbei sein würde....

Irgendwann schmiedeten die Menschen dann einen besonders verwegenen Plan: Sie wollten herausfinden, was ihre Welt im Innersten zusammenhält. Mit einer bewundernswerten Beharrlichkeit machten sie sich auf die Suche. Und sie kamen tatsächlich erstaunlich weit: In aufwendigen Experimenten tasteten sie sich voran bis zu den süßen kleinen Wellen-Kügelchen, die Frau Gott noch vor wenigen Momenten mit so viel Freude betrachtet hatte. Klar gaben die Menschen auch dieser Entdeckung einen lustigen Namen: ›Quarks‹. Und klar entwickelten sie ein ›Naturgesetz‹, welches das Zusammenwirken der Quarks ein für alle Mal plausibel erklären sollte. Zufrieden stellte Frau Gott fest, dass die Theorie der Menschen ähnlich ästhetisch-symmetrisch anmutete wie die Fluktuationen selbst. Über die unsinnige Annahme der Menschen, dass solch eine Theorie nicht dem Wandel der Zeit unterworfen sein könnte, wunderte sie sich indes nicht mehr – trotz ihres Einfallsreichtums fanden diese Menschen einfach keinen Draht zu der Erkenntnis, dass alle ihre tollen Regeln genauso fluktuierend-zufällig waren wie die Phänomene, die sie beschrieben.

Auch den Raum außerhalb ihres Planeten begannen die Menschen nun wie Besessene zu erforschen. Irgendwann verkündeten sie stolz, dass die Entstehung ihres Universums nur erklärbar sei, wenn ganz zu Beginn der Zeit ein ›Urknall‹ stattgefunden habe, aus dem sich dann Stück um Stück das Universum bildete. »Hihi, mein Rülpser als urknalliger Schöpfungsakt eines Universums«, lachte Frau Gott hell auf, »das muss ich meinem Mann erzählen, wenn er wieder wach ist! Da wird er sich künftig hüten, mir schlechte Manieren nachzusagen!«

Nach sieben göttlichen Millisekunden (etwa 5 Milliarden Jahre in menschlicher Zeitrechnung) war der Spaß dann aber auch wieder vorbei, die Quarks lösten sich in Frau Gotts Rülpswolke auf wie Nichts und auch die Menschen waren nur noch eine völlig unbedeutende Randnotiz in der Chronik der Familie Gott. »Zeit für ein Nickerchen«, befand Frau Gott und schloss die Augen. Kurz vor dem Einschlummern entließ sie heimlich, still und leise einen weiteren wohligen Urknall-Rülpser...

        

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